Wie Handwerker mit künstlicher Intelligenz zusammenarbeiten sollen
Magdi Aboul-Kheir von der Südwest Presse berichtet.
Auf Baustellen regieren noch immer Zettel, Stift und Zollstock, sagen die Macher des Ulmer Start-ups Immersight. Sie wollen mit 360-Grad-Dokumentation und Künstlicher Intellgenz in die Zukunft des Bauens aufbrechen.
Noch ärgerlicher als ein Wasserschaden ist das, was danach kommt. Die Suche nach der Ursache. Streit mit Handwerkern. Stress mit der Versicherung. Solche Probleme auf Baustellen, in Häusern und Wohnungen will das Ulmer Start-up Immersight verhindern helfen: mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI). Dafür ist das Unternehmen dieses Jahr beim KI-Innovationswettbewerb Baden-Württemberg ausgezeichnet und mit 278 000 Euro gefördert worden. Immersight wurde 2013 von ehemaligen Mess-, Regel- und Mikrotechnik-Studenten der Uni Ulm gegründet. Sie hatten eine Virtual-Reality-Brille gebastelt, mit der man in künstliche Räume eintauchen konnte. Mit ihrem Prototyp hatten sie auf der Cebit begeistert und rasch den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Das Unternehmen hat heute seinen Sitz im Nebengebäude des Karlsbaus. Acht feste Mitarbeiter zählt Immersight, dazu kommen ebenso viele studentische Hilfskräfte und man will wachsen , schreibt Stellen aus.
Der verstaubte Erstling
Heute liegt das letzte Exemplar des ersten Brillentyps angestaubt in einem Regal. „Man wird zu schnell in die Ecke VR-Brille gesteckt“, erläutert Fabian Weiss, einer der Gründer und Geschäftsführer von Immersight. „Daher machen wir das nicht mehr.“ Stattdessen stellte Immersight 2016 die weltweit erste Software für virtuelle Ausstellungen vor und setzte fortan auf VR-Präsentationen und Showrooms, vor allem für Handwerker. Das war bis zur Corona-Delle der Schwerpunkt. 350 Betriebe in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehören zu den Kunden. Wie es zu der Klientel kam? „Der Käufer der ersten Brille war ein Handwerker“, blickt Weiss zurück, „nach einem Jahre waren es zehn Handwerker, dann war‘s passiert“. Die Kundschaft bilden Sanitärinstallateure, Schreiner, Fliesen- und Bodenleger, Trockenbaufirmen; auch Maler kommen vermehrt hinzu. Darunter sind Zwei-Mann-Betriebe, aber auch Firmen mit 400 Mitarbeitern. „Typisch für unsere Kunden ist der Handwerker mit 30 Angestellten“, sagt Weiss.
Die erwerben für rund 1000 Euro ein Kamera-Set (Ricoh Theta mit Stativ und Ladegerät) und erhalten für eine monatliche Rate ab 55 Euro Software und Service.
„Baustellen sind unterdigitalisiert“, betont Weiss. „Noch immer regieren Zettel, Stift und Zollstock“. Wenn doch auf moderne Technik gesetzt wird, „möchten Handwerker eine komplette Lösung aus einer Hand haben: Hardware, Software, Service“. Die Produktion von Hardware spielt bei Immersight aber keine Rolle mehr. Die wird von Partnerfirmen bezogen: die Kameras von Ricoh. Das Know-how dafür ist bei Immersight aber noch aus der Brillen-Zeit vorhanden.
Im Zentrum steht mittlerweile die Frage: Was kann man mit Kameras erfassen, und wie kann man diese Informationen nutzen? Es geht um die digitale Dokumentation von Räumen, die Erschaffung „digitaler Zwillinge“ und die intelligente Auswertung, vor allem auf Baustellen. Wenn jeden Tag von allen Räumen 360-Grad-Aufnahmen erzeugt und ausgemessen werden, ist eine Zeitreise in die Geschichte einer Baustelle möglich. Dabei werden große Datenmengen produziert. Und bei deren Analyse kommt die KI ins Spiel.
„Überall in unserem Leben greifen wir schon auf smarte Assistenzsysteme zurück“, sagt Weiss, „nur der Handwerker auf der Baustelle hat seinen Meterstab.“ KI-Assistenzsysteme vermögen Räume, Türen und Fenster auszumessen. Und sie können eben nicht nur einen Wasserschaden erkennen, sondern ebenso, wann der entstanden ist – also auch durch wen.
Die KI kann auf Baunormen trainiert werden. Also etwa erkennen, wenn eine Steckdose zu nahe an einer Wasserleitung sitzt. Theoretisch könnten alle gesetzlichen Baunormen in der KI hinterlegt werden, sagt Weiss–aber das ist noch Zukunftsmusik.
Jetzt geht es im geförderten, auf eineinhalb Jahre angelegten Forschungsprojekt erstmal darum, die KI exemplarisch zehn große Probleme auf Baustellen erfassen zu lassen. „Kiss“ nennt sich das Projekt, das steht für „KI-basierte Unterstützung zur kollaborativen Sanierung von SHK-Anlagen“, also von Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik.
Es geht auch ums Geld
Der 37-jährige Weiss stammt aus einer Bad Buchauer Bauunternehmer-Familie und träumt davon, einen „virtuellen Experten“ zu schaffen. Dabei geht es nicht zuletzt ums Geld. „Ein virtueller Testlauf beim Berliner Flughafen hätte Milliarden Euro sparen können – und Jahre“, ist sich Weiss sicher. „Aber es funktioniert auch
im Kleinen.“
So könnte die KI das Controlling unterstützen. Weiss nennt ein Beispiel: „Wie viele Ziegelsteine wurden wirklich verbaut? Da wird geschätzt und hochgerechnet! Wer zählt schon 7000 Steine?“ KI würde für mehr Wirtschaftlichkeit sorgen: „Wir könnten effizienter mehr Wohnraum schaffen. Wir bauen in Deutschland viel zu teuer.“